6. Vernetzungstreffen für eine offensive Gewerkschaftspolitik

Zum sechsten Mal trafen wir uns am 14. und 15. Februar 2020 in Kassel, um über die Bedingungen und Möglichkeiten einer offensiven Gewerkschaftspolitik zu beraten. Gast und Hauptredner war am Freitagabend unser Kollege Hans-Jürgen Urban, der einen Rückblick auf den Gewerkschaftstag der IG Metall gab und Schlussfolgerungen für die zukünftigen Aufgaben daraus entwickelte:

  • Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Situation, wo die Verteilungsspielräume geringer werden, daher ist mit härterer Gegenwehr des Kapitals auf unsere Forderungen zu rechnen.
  • Gleichzeitig ist zu befürchten, dass die Kosten der Transformation auf die Beschäftigten umgewälzt werden sollen und die Zielsetzung dieser Veränderungen allein der Rationalisierung und Profitmaximierung dienen sollen.
  • Auf politischem Gebiet wächst die Gefahr durch rechtsradikale bis faschistische Strömungen. Es ist nicht völlig sicher, dass das Kapital weiterhin und dauerhaft auf parlamentarisch-demokratische Strukturen setzt, um seine Interessen durchzusetzen.
  • Wenn wir dem wirksam entgegentreten wollen, dann werden Bündnisse mit den verschiedensten gesellschaftlichen Parteien und Gruppen, wie z.B. der Umweltbewegung umso wichtiger.
  • Klar muss bei allen Aktivitäten der IG Metall bleiben, dass unsere Stärke aus den Betrieben, von unseren Mitgliedern, kommt. Der Gewerkschaftstag hat auch in diesem Sinn viele gute und wegweisende Beschlüsse gefasst.
  • So ist auch in der anstehenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie klare Kante zu zeigen. Wir machen keine Kungelei mit Gesamtmetall und wir zeigen kein materielles Entgegenkommen für unverbindliche Worte. Wenn auch die Arbeitgeberverbände uns auf diese Leimspur führen wollen, wir machen klar, auf welcher Seite wir stehen. Wir gehören nicht zum „Establishment“.
  • Um deutlich zu machen, dass wir in der Transformation andere Ziele als autoritäre Gesellschaftsstrukturen und Profitmaximierung verfolgen, setzen wir auf das Konzept einer Wirtschaftsdemokratie in einer solidarischen Gesellschaft.

Im Anschluss an Hans-Jürgens Ausführungen schilderte eine Kollegin, die erstmalig an einem Gewerkschaftstag teilnahm, ihre Eindrücke. Daraus einige Ausschnitte:

  • Die Abläufe und Regularien (z.B. die Rolle der Antragsberatungskommission bei den Abstimmungen) waren manchmal schwer durchschaubar und verwirrend
  • Bedauerlich war, dass politischen Debatten unter den Delegierten nicht mehr Raum gegeben werden konnte. Es wäre zu überlegen, durch Streichung welcher Programmpunkte das geschehen kann.
  • Die Vorstandswahlen fanden vor den zukunftsgerichteten Debatten statt. Wäre hier nicht eine Änderung der Reihenfolge sinnvoll?

Ein Kollege aus unserem Vorbereitungskreis erinnerte an die Ziele, die wir vor dem Gewerkschaftstag formuliert hatten. Die Delegierten hätten – beispielsweise mit den Beschlüssen zu Betriebsrente, tarifdispositiven Regelungen aber auch Wirtschaftsdemokratie und Leistungspolitik – deutliche Signale für eine offensive Gewerkschaftspolitik  gesetzt, so seine Einschätzung. (Siehe dazu das Auswertungspapier der Vorbereitungsgruppe.)

Der Samstagmorgen war zwei Arbeitsgruppen gewidmet:

  • Bedingungsgebundene Gewerkschaftsarbeit

Anhand eines Beispiels wurde dargestellt, wie es gelingen kann, einen zunächst schlecht organisierten Betrieb in die Tarifbindung zu führen. (Siehe dazu die Präsentation.) In der Diskussion wurden die verschiedenen Möglichkeiten der Beteiligung von Beschäftigten, der Selbstorganisation, des erheblichen Arbeitsaufwands, der langfristigen Anlage solcher Projekte, der notwendigen Akzeptanz dafür in der „betroffenen“ Geschäftsstelle, der Voraussetzungen und Erfordernisse auch außerbetrieblicher Unterstützung und viele weitere praktische und konkrete Fragen lebhaft diskutiert.

  • Wirtschaftsdemokratie konkret

Am Beispiel der Auseinandersetzung um die Zukunft der Arbeitsplätze und des Standortes der PFW (Pfälzische Flugzeug Werke) zeigte der ehem. Betriebsratsvorsitzende Jan Heinrich auf, wie es möglich wurde, einen Arbeitskampf bis zur Betriebsbesetzung und darüber hinaus bis zu dem Punkt zu führen, wo die Belegschaft den Betrieb in Form einer Aktiengesellschaft übernahm. (Siehe dazu die Präsentation, Link zum Film) In der Diskussion mit wurden grundlegende – aber auch sehr praktische – Fragestellungen behandelt, die um Notwendigkeiten und Voraussetzungen zum Führen einer harten Auseinandersetzung kreisten. Klar wurde: „Einsame Inseln“ der Wirtschaftsdemokratie sind im Kapitalismus  nicht dauerhaft haltbar, aber die „Grenzüberschreitungen“ während des Arbeitskampfes sind notwendige Schritte auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der es nicht nur um Profitmaximierung geht. Diese Erfahrungen sollten angesichts der aktuell drohenden Auseinandersetzungen um Betriebsschließungen in Bezug auf die konkrete Gewerkschaftspraxis genauer ausgewertet werden.

Ab Samstagmittag war das Thema die aktuelle Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Zwei Kollegen aus verschiedenen Bezirken schilderten ihre Eindrücke: Beschäftigungssicherung ist in der Mehrzahl der Betriebe ein wichtiges Thema. Wir müssen darauf achten, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, die IG Metall wolle auf Entgelterhöhungen verzichten. Schon gar nicht für unverbindliche Zusagen der Arbeitgeber. Das erfordert harte Eingriffe in die Verfügungsmacht des Kapitals. Bezüglich der Entgelte wollen wir einen Tarifvertrag mit kurzer Laufzeit. Die Arbeitgeberverbände und Gesamtmetall äußerten sich bis zum Zeitpunkt unserer Tagung unbestimmt und unterschiedlich zum Vorschlag der IG Metall auf ein Moratorium. In der anschließenden Debatte wurden die Chancen und Risiken unseres Vorgehens in dieser besonderen Tarifrunde besprochen. Gerade angesichts der Tatsache, dass der Vorstand das Moratorium für viele recht überraschend der Öffentlichkeit vorgestellt hat, sind weitere Diskussionen im Vorfeld und in der Tarifrunde eine wichtige Aufgabe von OGP. Und: nicht alle „modernen Moderationsformen“ in den Tarifkommissionen gewährleisten und erweitern wirklich die Beteiligung der KollegInnen. Problematisch ist zum Beispiel, wenn die Generaldebatte in der Tarifkommission durch „Murmelgruppen“ abgelöst wird.

Das nächste Vernetzungstreffen für eine offensive Gewerkschaftspolitik findet voraussichtlich am 25./26. September 2020 in Kassel statt. Ideen für Themen und ReferentInnen, Kritik und Angebote zur Mitarbeit sind sehr willkommen. Bitte per Email an: info@offensive-gewerkschaftspolitik.de